Kaufhallen im Bild

„So wie Du bist, so sind auch Deine Gebäude.“ – Louis Sullivan 1924

Zeitz schrumpft seit vielen Jahrzehnten. Diese Entwicklung hält trotz Eingemeindung umliegender Ortschaften weiterhin an. Man könnte meinen, dass im selben Maße, in dem sich die Bevölkerung reduziert und damit die Stadt an Kaufkraft verliert, sich auch die Anzahl der Einkaufsmöglichkeiten verringerte. Stimmt aber nicht.

Verkaufsfläche wächst
Laut statistischer Prognose wird Sachsen-Anhalt im Jahr 2025 im Gegensatz zu allen anderen Bundesländern pro 1000 Einwohner die größte Verkaufsfläche im Supermarkt besitzen, und zwar 619 Quadratmeter1. Zum Vergleich: Für Hamburg werden 303 Quadratmeter Verkaufsfläche prognostiziert. Der Zusammenhang von negativer Demographie und größer werdenden Verkaufsflächen klingt erst einmal logisch, schließlich produziert Abwanderung Leerstand und Freiflächen. Allerdings werden in diesem Sinne die bestehenden Kaufhallen nicht etwa größer oder das Sortiment großflächiger arrangiert. Tendenziell entstehen schlichtweg neue Märkte. Diese Entwicklung ist teilweise durch das Wegbrechen der kleinen Lebensmitteleinzelhändler zu erklären, aber auch mit dem Konsumverhalten der Menschen – ein Spiraleffekt.

Discounter entsprechen in ihrer Vielfalt im Sortiment mittlerweile dem Supermarkt oder wie man einst hier sagte: der Kaufhalle. Discount (etwa Rabatt oder Preisnachlass) beschreibt – mit dem Scheinanglizismus Discounter – die Dauerniedrigpreispolitik der Lebensmittelkonzerne. Ermöglicht wird dies durch die rigorose Kosteneinsparung bei allen eingesetzten Betriebsmitteln, man kennt das ja. Aber dennoch ist ein Imagewandel spürbar. Denn Kunden legen zunehmend mehr Wert auf Qualität. Geiz ist nicht mehr per se geil aber billig soll es trotzdem sein. Und die Märkte ziehen nach. Auch Discounter entdecken ihr grünes Gewissen, damit das gute Gewissen für die Kundschaft im Bio-Regal ebenfalls erschwinglich wird. Auf diese Weise verwandelt sich der Verkaufsort zum Wohlfühlort. Zu spüren ist die ansprechende atmosphärische Stimmung im neuen Edeka-Markt in der Schützenstraße. Auch Aldi in der Donaliesstraße erscheint nicht mehr wie einst als Konservenramschladen. Ist das der Beginn einer neuen Qualitätsoffensive? Da sich der Preiskampf zunehmend ins Internet verlagert, werden die Discounter, in ihrer jetzigen Form, wohl mehr und mehr aus den Innenstädten verschwinden.2

Lost in the supermarket
Im Zuge der Abrisspolitik der vergangenen Jahre und dem damit verbundenen Ziel, den ruinösen Charakter dieses Ortes zu wandeln, sind Kaufhallen mitunter dominate Phänomene im Stadtbild geworden. Ein Nebeneffekt der ansteigenden Geburtenrate neuer Märkte in Zeitz, ist der Anstieg der Anzahl an Parkplätzen. KFZ-Stellflächen werden weiterhin wohlwollend erzeugt.
Architektonisch sind die meisten Bauten grundlegend minimalistisch. Gehalten in der klassischen Lagerhallen- und Bierzelt-Optik mit Steildach gebaut. Fenster findet man selten. Denn das Abschotten vom Tageslicht reduziert das Gefühl für die Tageszeit. Und dies kann unter Umständen helfen, „Verweilzeiten der Shopper“ zu erhöhen, sagen Marketing-Experten3. In ihrer Gestalt unterscheiden sich die Bauten unwesentlich. Aber wie viele gibt es mittlerweile in Zeitz? Allein im vergangenen Jahr konnten wir zwei Neueröffnungen erleben. Mit bunten Luftballons und Bratwurststand hießen die Zeitzer ihre Märkte willkommen. Die Bilanz sieht folgendermaßen aus:

Name Anzahl
Netto
Lidl
Kaufland
Aldi
Globus
Edeka
Penny
NP
4
2
2
2
1
1
1
1
Gesamt 14

 

An einem Sonntag im Frühjahr diesen Jahres hatte ich mir vorgenommen, die Orte zu besuchen und fotografisch zu dokumentieren. Aus reiner Neugierde und ohne vordergründig künstlerischen Anspruch. Supermärkte sind vor allem an Sonntagen merkwürdige Nicht-Orte im Sinne des französischen Anthropologen Marc Augé. Sie sind mono-funktional genutzte Flächen im urbanen und suburbanen Raum. Der Unterschied zum traditionellen, insbesondere zum anthropologischen Ort besteht dabei im Fehlen von Geschichte, Relation und Identität, sowie in einer kommunikativen Verwahrlosung4. Die lückenlose Konsumkette scheint für einen kurzen Moment unterbrochen und die Gestalt von Blech- oder Steinhalle mit asphaltiertem Vorplatz tritt ehrlich zu Tage. Menschenleer. Hinter dunklen Schaufenstern verbergen sich die profitablen Lebensmittel.

Gleich, ob Kaufhalle, Supermarkt, Discounter oder Einkaufszentrum, es ist im Grunde immer die gleiche gesichtslose Architektur, deren Halbwertszeit so lange währt, wie ähnliche Zweckhallen in den Gewerbegebieten der Peripherie einer Stadt. Über deren Ästhetik lässt sich wunderbar streiten. Der Ausspruch form follows function stammt aus einer Zeit, in der die organischen Prinzipien der Architektur angesprochen werden. Das ist nun 150 Jahr her. Heute scheinen sich Form und Funktion diametral gegenüberzustehen. Ähnlich, könnte man vermuten, verhält es sich mit den Ansprüchen der Gestaltungssatzung dieser Kleinstadt.

Und doch sehne ich mich keineswegs zurück in die Konsumladen- und Tante-Emma-Ära, noch denke ich, dass uns die Kaufländer (frei erfundene Mehrzahl von Kaufland) als Tempel der Bedürfnisbefriedigung eine wonnige Zukunft verheißen. Aber wie viel Kaufland verträgt eigentlich eine Stadt?

Erschreckt und erschlagen vom Überangebot in Kaufland 1 und Kaufland 2 biege ich den Einkaufswagen schiebend oder einen Pappkarton tragend oft hinter dem Gemüseregal direkt durch die Abkürzung zur Kasse ein. Dass der Netto-Markt an der Molkerei heute für immer geschlossen wird, spiegelt mir meinen Gewohnheitstrott für einen Moment klar und deutlich. Wo werde ich, wo werden die Gäste von Posa zukünftig hinlaufen, um noch schnell ein Brot oder eine Packung Bratwurst zu kaufen? Zum Hainichener Wurstautomaten? Über diese phänomenale Alternative berichte ich beim nächsten Mal. Und hier nun eine kleine Topologie der Zeitzer Kaufhallen im Bild.

 

 

 

Kaufland Schwarzer Weg
Netto Geraer Straße
Edeka Schützenstraße
Aldi Geußnitzer Straße
Lidl Geußnitzer Straße
Netto Platanenweg
Kaufland Hainichener Dorfstraße
Netto Gleinaer Straße
Netto an der Molkerei
Aldi Schädestraße
NP Weißenfelser Berg
Globus Theißen
Penny Grana
Lidl Michaelpark
Nah & Frisch Draschwitz – gehört zwar nicht unmittelbar zu Zeitz, lag an diesem Tag aber auf meiner Strecke

1 https://de.statista.com/statistik/daten/studie/76828/umfrage/lebensmitteleinzelhandel—verkaufsflaeche-pro-1000-einwohner abgerufen am 8.6.2018
2 https://www.zukunftsinstitut.de/artikel/der-discount-wird-edel/ abgerufen am 8.6.2018
3 https://www.businessinsider.de/fenster-im-supermarkt-aldi-und-edeka-setzen-auf-tageslicht-2017-11 abgerufen am 13.6.2018
4 Marc Augé: Nicht-Orte, Beck, München 2012, ISBN 978-3-406-60568-0