Dialog in Zeiten des Wandels

Zum 1. Zeitzer Stadtgespräch „Die politische Wende 1989/90 in Zeitz – Der Traum ist aus!?“ in der Michaeliskirche

An diesem Abend sind auf den Tag genau 30 Jahre seit dem Mauerfall ʼ89 vergangen. Trotz der überwiegend guten Gefühle, die an dieses Ereignis geknüpft sind, muss man leider auch die Stadt Zeitz zu den Verlierern dieser „Wende“ zählen. Viele Ungerechtigkeiten, auch solche die aus dem DDR-Regime mit in die neue Zeit getragen wurden, sind bis heute unausgesprochen geblieben. Im Gegensatz dazu steht eine rege Bürgerbeteiligung, die in den Jahren der Friedlichen Revolution auch in Zeitz entstanden ist und – wie so viele – leider kaum in die Nachwendezeit hineinwirkte.

Dem ehemaligen Zeitzer Peter Schneider, der weggegangen ist und sich in den letzten Jahren zu einem berühmten Schauspieler und Musiker hochgearbeitet hat, liegt seine Heimatstadt noch immer am Herzen – nicht nur weil er hier die Möglichkeit hatte, seine ersten künstlerischen Schritte zu gehen, vor allem auch hier in der Kirchgemeinde der Michaeliskirche.

Mit der Initiierung des „1. Zeitzer Stadtgesprächs“ will er mit diesem künstlerischen und innovativen Format einen Dialog in der Bevölkerung anstoßen. Die erste Veranstaltung unter dem Titel „Die politische Wende 1989/90 in Zeitz – Der Traum ist aus!?“ stand programmatisch für diese Intention. Nicht den Wende-Verlierer Zeitz wollte er an diesem Abend in den Vordergrund rücken, sondern die treibenden Impulse, die positiven Energien, die engagierten Menschen, die eine ganze Gesellschaft in eine Friedliche Revolution geführt haben, auch in Zeitz.

Das Event begann mit einer interaktiven Performance des Schweizer Künstlers und Neu-Zeitzers Beat Toniolo, der als Erzengel Michael verkleidet die Besucher fragte, welche Begriffe ihnen im Zusammenhang zwischen 1989 und 2019 einfielen. Zeitgleich konnten zwei Ausstellungen bewundert werden. Die eine war eine historische Ausstellung zum Thema Friedliche Revolution in Zeitz, die andere eine Fotoausstellung von Philipp Baumgarten, der den Verfall ostdeutscher Kleinstädte künstlerisch festhielt. Anschließend spielte Peter Schneider auf der Bassklarinette, sein Bruder begleitete ihn an der Orgel.

Nachdem Toniolo eine nachdenkliche Leseperformance anstimmte, die sich mit Missständen, Misstrauen, Missernten, Missdeutungen, Missbilligungen usw. auseinandersetzte und das Publikum auf die Vieldeutigkeit der Geschichtsschreibung einstimmte, begann Schneider seinen eigentlichen künstlerischen Programmpunkt für diesen Abend auszuführen. In Bademantel und Wollmütze trat er vor das Publikum. Von der Empore des Kirchenschiffes herabsteigend hatte er eine Textcollage zusammengestellt, die er im Predigerton, aber ohne erhobenen Zeigefinger, vortrug. Dabei stimmte er plötzlich das Lied „Der Traum ist aus“ von Rio Reiser an, das titelgebend für diesen Abend war. Das Lied handelt vom Traum eines Landes ohne Waffen und Gefängnisse, sprich vom Paradies. Ein Traum, für den es sich zu kämpfen lohnt und bei dessen Kampf wir nichts verlieren können als unsere eigene Angst.

Anschließend gab Philipp Baumgarten noch einige erklärende Worte zu seiner Ausstellung mit dem Titel „Mitteldeutsch“. Der Medienkünstler ist in Zeitz aufgewachsen, danach zum Zivildienst nach Leipzig, zum Studium nach Dresden und zur Arbeit nach Karlsruhe gegangen. In dieser Zeit hatte er aus der Entfernung zunächst nur den Verfall der Stadt beobachten können, doch nach und nach entdeckte er darin ein ungeheures Potential und bezeichnete diesen Verfall als Transformationsphase und als mitteldeutsches Phänomen. Statt von „Untergang“ solle man vielmehr von „Übergang“ sprechen. Aus jeder Ruine spreche für ihn auch die Möglichkeit schöpferischer Energien, die er sowohl in künstlerischen als auch stadtpolitischen Projekten wecken möchte.

Auch Peter Schneider griff dieses Bild im folgenden Gespräch wieder auf. Für die erste Ausgabe des Zeitzer Stadtgesprächs hatte er sich den ehemaligen Oberbürgermeister Dieter Kmietczyk eingeladen, der von 1990 bis 2008 im Amt war und selbst aktiv die politische Wende in Zeitz begleitet hatte. Kmietczyk ist keine unumstrittene Person. Viele Versäumnisse, die in der Stadtpolitik der Nachwendezeit geschehen sind, wurden ihm angelastet. Man hätte sich schon ein bisschen gewünscht, dass darauf ein wenig mehr eingegangen wird, doch Schneider wählte stattdessen den Weg der Versöhnung. Ihm war es wichtiger, zu erfahren, wie es überhaupt möglich war durch Bürgerbeteiligung politische Entwicklungen anzustoßen in einem System, das zu dieser Zeit für alle neu war. Dieter Kmietzczyk war damals Gründungsmitglied der „ZDI – Zeitzer Demokratie Initiative“, später hatte er auch die Beschäftigungs-Initiative „Pakt für Arbeit Zeitz“ mit ins Leben gerufen. Beide Projekte sind von unten organisiert und in Zeiten des Wandels vom einfachen Volk mitgetragen worden.

Peter Schneider sah darin eine Parallele zur Gegenwart, denn die Landespolitik muss mittlerweile notgedrungen viele ländliche Gebiete aufgegeben. Von oben wird auf das Engagement von unten gehofft, also auf die Kommunalpolitik und Bürgerinitiativen. „Als die Sache mit dem Krankenhaus war, da sah ich, wie wunderbar es ist, wenn Menschen zusammenkommen und dass es sich immer noch lohnt, für eine Sache zu kämpfen.“ Gemeint war die aufgehobene Insolvenz des Zeitzer Krankenhauses. Nach massiven Protesten aus der Bevölkerung und einer Petition, die innerhalb von wenigen Tagen über 5.000 Bürgerinnen und Bürger unterzeichnet hatten, konnte es schließlich gerettet werden, zumindest vorerst. Es sei ein wichtiges Zeichen dafür gewesen, dass die Dringlichkeit der politischen Bürgerbeteiligung wieder im Bewusstsein des Volkes angekommen ist. Die Zeitzer Stadtgespräche könnten sich zu einem Werkzeug entwickeln, um weitere Denkanstöße zu geben und um miteinander ins Gespräch zu kommen.

Beat Toniolo als Erzengel Michael; Foto: Stephan Zwerenz
Peter Schneider; Foto: Stephan Zwerenz
Philipp Baumgarten; Foto: Stephan Zwerenz
Die drei Veranstalter; Foto: Stephan Zwerenz
Peter Schneider im Gespräch mit Dieter Kmietczyk; Foto: Philipp Baumgarten
Peter Schneider im Gespräch mit Dieter Kmietczyk; Foto: Philipp Baumgarten
Fotoausstellung von Philipp Baumgarten