Die Idee der Freiheit wurde nicht auf einem goldenen Tablett auf die Welt gebracht, sondern wurde über Jahrtausende gesellschaftlich erkämpft und abhängig von der jeweiligen Wirtschafts- und Staatsideologie zweckgerichtet interpretiert. Die Interpretation des modernen Westens lautet: In einer wirtschaftlich liberal gesteuerten Gesellschaft ist der kleine Bürger nicht kleiner als der große, vorausgesetzt, er arbeitet sich frei. Die Devise – wer nicht faul ist, ist maximal selbstbestimmt.
Spätestens in der Postmoderne wurden diese Versprechen zur Farce. Das Hoffen auf Freiheit und Wohlstand verwandelte sich in die dauernde Angst schwächer zu sein als es der Wettbewerb erlaubt. Die emanzipatorische Idee von Selbstbestimmung wurde vergewaltigt. Am Ende stand nicht mehr der solidarische Bürger, sondern die Ich-AG. Und weil so wenig Zeit bleibt dies zu hinterfragen und zu wenig Platz bleibt dies zu torpedieren, sind Räume, wo Fragen nach Freiheit, Selbstbestimmung und System bearbeitet werden, so wichtig.

Das Komitee für lästige Bildung hat sich diesen Raum genommen und gemeinsam mit vielen Mitstreitern auf den Weg gemacht, Antworten zu finden. Auftakt in diesem Jahr war die Konferenz „Alles Offen – Überall Grenzen“ am 14. und 15. Juli auf Kloster Posa. Bei körperlicher Bewegung und geistiger Nahrung wurde über Freiheit nachgedacht. Alle Teilnehmenden hatten ca. 5-minütige Beiträge vorbereitet, die während einer performativen Nachtwanderung an verschiedenen Stationen im Zeitzer Umland präsentiert wurden. Einen ausführlichen  Rückblick über die Lange Nacht der Freiheit des Komitees für lästige Bildung finden Sie hier.

Alles offen; Überall Grenzen Ein Heft über Freiheit Edition Posa Herausgeber: Komitee für lästige Bildung Farbig illustriert Paperback 65 Seiten Preis 5 Euro

Zeugnis des Engagements des Komitees für lästige Bildung gibt das im Sommer 2018 erschienene Heft über Freiheit, erster Versuch „Alles offen – Überall Grenzen“, die in der Edition Posa online zu bestellen ist. Die Broschüre blickt zurück auf die erste experimentelle Freiheitskonferenz in Göbitz 2017. Sie versammelt Essays, Texte, Gedicht, Bildmaterial und Briefe, in denen junge Menschen über Freiheiten und Unfreiheiten nachdenken, gesellschaftliche Entwicklungen beschreiben und neue Fragen und Horizonte ins Auge fassen. Allesamt sind es Beiträge der Teilnehmenden eben jener Konferenz, die aus ganz verschiedenen gesellschaftlichen Winkeln, wie Kunst, Pädagogik, Handwerk oder Informatik, auf die Welt blicken.

 

Gerade an einer eckigen Häuserwand vorbeigeeilt, an deren oberem Ende ich jemanden erblickte, der kurzerhand am Sonntagabend seelenruhig seinen Kunstrasen mäht; während in der Küche vorportionierter Kaffee gelassen durch die Maschine tröpfelt; während jemand in seiner Hosentasche nach einem empfindlichen Gefühl kramt, dass er erst vor kurzem in der Straßenbahn versehentlich zerdrückt hatte; während Internetpfeile im nulleinser Rhythmus durch unsichtbare Netze schießen und an den falschen Stellen kleben bleiben; während ich beim Duftbäume zählen auf der nächtlichen Straße durcheinander komme, weil ein Wirbelsturm an der Asphaltkante auftaucht und mir die riesigen Tragetaschen der Kaufkräfte in die Kniekehle rammt, sodass ich mich schnurstracks humpelnd in ein Kellerloch verschlagen muss und in der trockenen Luft regelmäßig gewarteter Heizschächte zu husten beginne. Dort, in einer staubgetünchten Ecke, sitzt eine Horde blassäugiger Frauen, die damit befasst ist, die eigenen Neurosen in Anekdoten zu verwandeln und mit gefärbtem Schnaps zu übergießen.
Sie dröhnen davon, dass sie sich noch nie einen Arbeitsplatz erschlafen haben, lassen sich aus, über lindernde Tiefkühlpizzen und abgeschmirgelte Hochglanzgeschichten. Ich, mir eine Flasche Wasser über’s Haar schüttend, es gefriert sofort, bemerke, dass ich dabei bin, einer Art toupiertem Wahnsinn zu verfallen. Das Scheitern an der Balance zwischen dem dünnen Gummistrick, der zwischen Alltagsschaum und Tausendidee gespannt ist, überschäumend an Wellen mittelmäßiger Situationen. Rinnsale aus Lug und Trug bedecken mehr und mehr den schnapsgetränkten, grünen Teppichboden, sodass beim Auftreten ein schwappendes Geräusch entsteht. Ich halsüberkopfe mich in Richtung der Ewigkeitseiche, die hier nicht zu finden ist, die verschluckt wurde von urbaner Landschaft, und lande falschherum in einem Vorgarten, den hier keiner so nennen würde. Gut frisierte Leute wickeln ihre sozialen Anliegen in Vereinsregister ein; Kinder vollführen demütig Kunststücke, die sie in der Früherziehung gelernt haben; ein stolzer Vater versucht seinen vom Scrollen überlasteten Daumen zu regenerieren, indem er manisch den Grill von Fett und Schmutz freikratzt. Vergeblich klopfe ich am Gartentor, bitte um Obdach. Es ergießt sich nichts als eine kunterlaute Stille.
Ein sämiges Geräusch, wie dickflüssiger Orangensaft, ein leises Surren des automatischen Rasenmähers, der gerade dabei ist, eine Weinbergschnecke um’s Leben zu bringen, bis eines der Kinder es mitbekommt und empört versucht einzugreifen. Zu spät schon, der Rasenmäher zieht weiter nonchalant seine Runden. Drumherum saugt die verträgliche Gesellschaft, wie an jedem Nachmittag von Montag bis Freitag alle fahrzeuginnehabenden Arbeiter zurück in den Eigentumsradius, wo sie, auf weißen Ledersofas und dänischen Designstühlen fläzend, die versmogte Haut mit aufgeweichten Kulturbrocken einreiben, bis sie schließlich in einen sanften, gefräßigen Schlaf fallen. Währenddessen überschlagen sich im Radio die Meldungen, es habe eine inhaltliche Aushöhlung stattgefunden, schon seit Jahren, und keiner habe es gemerkt. Schleichend habe man jedwede stichhaltige Debatte mit einer Mischung aus entkoffeinierter Brühe und harschen Argumenten verrührt, und dann, ganz nach und nach, hätten die Leute selbst politische Dogmen beigemengt; untergejubelte Flaggenbekenntnisse, aus denen sich händereibend eine Agenda erstellen ließ. Stark, wie eine unbezähmbare Frau mit Goldzahn, die Herrscherin gut ausgestatteter Wohnzimmer. Und wenn jemandem doch mal die Hand ausgerutscht ist, hat man sie in mit Wohlfühl-Tee balsamierte Wundtücher gewickelt und Betroffene, wie Gerührte mit dem Singsang einer saumseligen Latenight-Show soweit bezirzt, dass sie letztlich die Ambulanz in dem jähen Glauben verließen, eine glasklare Erkenntnis habe sie ereilt, und alsbald Fahnen schwenkten, deren Bedeutung ihnen nicht im Entferntesten klar war. Verschlungen müsse man Geschichte rückwärts lesen, um da noch irgendwie durchblicken zu können, doch die Farbenlehre der Fahne funktioniert immerhin, nach wie vor, ordnungsgemäß.

Auszug aus Anna-Maria Friedrich: „Nein, wir glauben nicht an die industrielle Verzückung