Stadtentwicklung als Thema im site-specific-theatre
– eine raumerkundende Inszenierung
OPEN SPACE ZEITZ ist ein Projekt, das den Raum in den Mittelpunkt rückt, indem es die künstlerische Erkundung des Stadtraumes ermöglicht und gesellschaftliche Zustände reflektiert und thematisiert. Raum wird dabei als ein vielschichtiges Konstrukt betrachtet, das auch sozial ausgehandelt wird. Der soziale Raum, angelehnt an Henri Lefebvre, ist sozial hergestellt und an gesellschafts-theoretische Fragen gekoppelt, womit er auch wandelbar ist.
Im Gefüge einer Stadt, mag sie auch noch so marode sein, finden sich viele Anknüpfungspunkte für Raumveränderung. Auch im eigentlichen Wortsinn werden Räume transformiert, sie erhalten neue Nutzungsmöglichkeiten, sie werden instandgesetzt und belebt. Dabei werden „regionale Aktivitätszellen“ geschaffen, die unterschiedliche Akteure der Veränderung von „Zwischenräumen“ versammeln. Neben dem physischen und dem sozialen Raum entsteht in diesem Prozess ein weiterer, dritter Raum, ein Denkraum in dem die Kunst eine wichtige Rolle einnimmt. Hier passieren gesellschaftliche Aushandlungsprozesse, Partizipation wird möglich, ebenso wie ein Austausch unterschiedlicher Sichtweisen und Vorstellungen zur Gestaltung der Zukunft. Es ist der Möglichkeitsraum kollaborativer Stadtgestaltung.
Er ist nicht physisch oder sozial, er ist der metaphorische Zwischenraum, in dem Kunst und Kultur zur Entfaltung kommt und unabhängig von der sozialen oder physischen Realität um ihn herum existieren kann. Mitunter wirkt er, oder das was in diesem Dritten Raum passiert, unmittelbar auf die anderen Räume, jedoch passiert das nicht zwangsläufig. Oft ist das, was hier passiert temporär und hat doch Nachwirkungen für Betrachter, Zuschauer oder Diskussionsteilnehmer. Der Dritte Raum ist der Ort, wo Reflexion und Vision sich entfalten können.
Raumveränderung durch Theater
Die diesjährigen Projekte des OPEN SPACE ZEITZ beschäftigen sich mit der Stadt Zeitz und ihren Bewohnern, mit den Brachen und leerstehenden Gebäuden, mit Heimat und Fremde. Der vielfach vorhandene Zeitzer Leerraum wird für uns zum metaphorischen Zwischenraum, den es zu erobern und auch zu erproben gilt.
Katharina Gießler beschreibt in ihrer Diplomarbeit das site-specific-theatre und betont dabei, dass das auf-den-Ort-Bezogene auch raumverändernd wirkt. Visuell ist das nicht zuletzt durch ihre eigene praktische Arbeit Theater vor Ort. Stadtentwicklung als Thema im site-specific-theatre sichtbar. Sehr deutlich verändert sich der Raum, der Leerraum der Sozialhausbrache der ehemaligen Brauerei, er zieht Nachbarn und Passanten an, er wird von einem Nicht-Ort zu einem Zwischenort für Kommunikation. Durch das von Gießler inszenierte Theaterstück „Wodka-Käfer“ wird der Raum von einer Lücke im Stadtbild zu einem Erzählraum. Das Theaterstück, von dem wir fragmentarische Auszüge hören, spielt eigentlich in Berlin Prenzlauer Berg und passt doch sehr gut hierher. Das Stück und die Arbeit von Gießler lassen uns mitten in das Leben hineinblicken, sie erlauben uns einen Blick hinter den Vorhang von Anonymität und graubrauner Fassade.
Gießler ist Theatermalerin und hat ihre Abschlussarbeit in Zeitz umgesetzt, wo sie auch lebt und arbeitet. Das Bühnenbild zu dem Stück hat sie in ihrem Atelier auf dem Kloster Posa in mehrmonatiger Arbeit hergestellt, nachdem sie sich für die Brache der ehemaligen Brauerei an der Geraer Straße entschieden hat. Das Bild erstreckt sich über die gesamte Fläche der Hausfassade und zeigt zwei Kinder, die einen Vorhang nach oben ziehen, wodurch der Betrachter einen Einblick in ein Wohnzimmer in der untersten Etage erhält.
Die Besucher sitzen auf alten Sitzmöbeln, die auf dem sandigen Boden des ehemaligen Eckhauses zwischen Lampen und Pflanzen aufgestellt sind. Und plötzlich erzählt jemand, der mitten unter den Besuchern sitzt, wie es sich anfühlt, wenn ein Fremder an der Haustür klingelt und sich mit Dir unterhalten will. Wir hören unterschiedliche Auszüge der Erzählungen von Mietern in einem Wohnhaus, wobei jedes Mal eine neue Lampe inmitten des vermeintlichen Zuschauerraumes angeknipst wird, jeweils für die Länge einer Erzählung. So sitzen wir plötzlich alle zusammen in der untersten Etage des nicht mehr vorhandenen Gebäudes und werden zwangsläufig Teil der Geschichte. Die Schatten der Besucher werden auf das Bühnenbild geworfen, wodurch ein sehr schönes Zusammenspiel von Bühnenbild und Besuchern entsteht.
Literatur:
1 Vgl. Lefebvre, Henri: Das Recht auf Stadt. 2016
2 Vgl. Frech, Siri (Hg.): Neuland gewinnen. Die Zukunft in Ostdeutschland gestalten. S. 22-26, 2017
Fotos von Philipp Baumgarten