ibug – Festival für urbane Kunst

Traditionell an den zwei letzten Augustwochenenden findet die Industriebrachenumgestaltung, kurz ibug, statt. Wie im vergangenen Jahr wird auch 2018 eine brachliegende Industrieanlage in Chemnitz als temporäre Ausstellung freigegeben. In diesem Jahr beglücken mehr als 120 internationale Graffiti-, Streetart- und Medienkünstler*innen die ehemalige Nadel- und Platinenfabrik des VEB Kombinat Textima. An zwei Festivalwochenenden – vom 24. bis 26. August und vom 31. August bis 2. September  – kann das Ergebnis der einwöchigen Kreativphase der Künstler*innen bestaunt und erlebt werden. Streetart und Graffiti, Illustrationen und Installationen, Malerei und multimediale Projektionen – bei all diesen künstlerischen Ausdrucksformen steht das Experiment mit Genres, Materialien und Techniken ebenso wie die Vergangenheit der Brache und ihre Architektur im Fokus. Abgerundet wird das Festival mit einem vielfältigen Programm: Filme und Führungen, Diskussionen und Künstlergespräche, einem Kunstmarkt, Biergarten und Party. Zwischen den Festivalwochenenden werden zudem Workshops und Angebote für Schulklassen sowie individuelle Führungen durch die Brache angeboten.

Kunst für den Augenblick

Keine 50 km von Zeitz entfernt, im westsächsichen Meerane, suchte der Künstler Tasso 2006 nach neuen Entfaltungsmöglichkeiten. Was lag da näher als eine der unzähligen Industrieflächen, die seit geraumer Zeit leer standen, zu nutzen. Dass sich daraus mittlerweile ein weltweit bekanntes Festival für urbane Kunst – größtenteils ehrenamtlich umgesetzt – entwickelt hat, macht Hoffnung, die Idee an anderen Orten erfolgreich zu adaptieren. Mittlerweile erhält das Festival Kulturförderung – für die Macher ein Zeichen dafür, das Festival nachhaltig zu etablieren. Dank der großen Zuschauerresonanz findet die ibug in diesem Jahr bereits zum 13. Mal statt. Die eingeladenen Künstler*innen können sich in den Gebäuden frei entfalten. Dadurch, dass sie für Neugierige und Kunstfreunde geöffnet werden entsteht urban art – Kunst im öffentlichen Raum. Auf diese Weise zeigt die ibug, wie andere Zwischennutzungskonzepten, „die Möglichkeit der Kunst zur Belebung längst aufgegebener Orte“. Die Vergänglichkeit der Werke ist dabei immanent, denn alle bespielten Brachen werden auf kurz oder lang der Abrissbirne zum Opfer fallen.

Kreative Räume statt verlassener Orte

In den ostdeutschen Bundesländern ist mit Blick auf die Industriegeschichte eine Fülle von Leerstand und damit ein großes Potenzial für künftige kreative Nutzungskonzepte vorhanden. Betrachten wir diese Entwicklung, so wird deutlich, welche Lücken im Stadtbild entstehen würden, wenn man all diese Brachen abreißen ließe. Fraglich ist zudem der finanzielle Aspekt des Rückbauens (politisch beschönigend für: Abriss), wenn an dieser Stelle eine Leerfläche oder ein Neubau das Stadtbild durchbricht. Auf einer Podiumsdiskussion auf der ibug im vergangenen Jahr wurde die international bekannte Baumwollspinnerei in Leipzig als Beispiel für die verheerende Diskrepanz zwischen Abriss und Sanierung angeführt. Die sukzessive Sanierung kostete Ende der 90er Jahre 3 Mio. DM. Der Abriss wurde hingegen fiktiv auf 20,5 Mio. DM veranschlagt.

Dennoch tut man sich vielerorts schwer mit der Erkenntnis, dass in „Schrottimmobilien“ und anderen vermeintlich optischen Schandflecken mehr Potenzial schlummert als vermutet. Kreativschaffende wissen jedoch um die Möglichkeiten solcher Brachen und können aufgegebene Gebäude durch Engagement und Ideenreichtum zurück ins Stadtgedächtnis rufen. Sie hauchen dem Gebäude Leben, Kultur und eine neue Geschichte ein. Obgleich im ländlichen Raum die urbane Dichte fehlt, so gibt es dennoch regionale Künstler, die das Potential ihrer Region erkennen und nutzen wollen. Orte, die in einer Stadt oder Region in Vergessenheit geraten sind, können eine enorme Strahlkraft entwickeln, wenn sie wiederbelebt werden.

Ein exzellentes Beispiel dafür, dass die Nachnutzung von Industriebrachen auch in Außenstadtlagen und sogar im ländlichen Raum funktionieren kann, ist das alte Kühlhaus vor den Toren Görlitz‘. Genau solche Objekte bieten Inspiration, regen zum Nachdenken an, bewegen und lassen die Menschen einander wieder ganz offen begegnen. Jeder soll abgeholt werden, sich willkommen fühlen und staunend durch seine eigene Region gehen. Die Zeiten der Industriegesellschaft sind vorbei, es öffnet die wissensbasierte Ökonomie Tür und Tor für die Kultur- und Kreativwirtschaft.

Bereits seit März 2011 gibt es ein Positionspapier des Deutschen Städtetages zur Thematik „Stadtkreativität und Entwicklung“. Dort sind wichtige Ansätze formuliert: Kreative gehen dorthin, wo es Räume für Kreativität gibt und eine Toleranzgrenze für Veränderung vorherrscht. Fundamental dafür ist jedoch der politische Wille, solche Räume experimentierfreudig zu erschließen.