Interview mit Daniel Schnier
Zwischennutzungsformel:
Leerstand, Brache + Idee – geringe Miete = Instandhaltung der Immobilie + Berufschance + Belebung
Welches Potential hat Zwischennutzung?
Wir leben im Kapitalismus und die Nutzung von Räumen ist immer eine zwischenzeitliche Nutzung. Nur durch Fehler im System, das ausschließlich auf Wachstum gekoppelt ist, kann es Lücken geben. Die heutige Immobilienwirtschaft boomt seit dem Crash 2007/08, der eine nie da gewesene Veränderung in Großstädten generiert. Das Umland dieser wachsenden Metropolen erhofft sich eine Regeneration und Rückkehr ihrer verlorenen Bürger*innen. Auch hier geht es um Angebot und Nachfrage.
Diese Kleinstädte im Schatten der wachsenden Städte erleben momentan eine Renaissance des ländlichen Lebens. Viele Menschen ziehen wieder aufs Land und gründen Enklaven und Genossenschaften in sehr großen Einheiten. Und überdenken dabei nicht nur Ihr Handeln, sondern bauen an, züchten und imkern und leben nachhaltiger denn je. Weg vom Discounter hin zur Gemeinschaft.
Seit 2010 erleben wir in Bremen, dass der Raum, also der Freiraum, immer weniger wird und die Kosten rapide ansteigen. Weder die Regierung, noch die Stadtverwaltungen sind aktiv dabei, dieses Treiben zu unterbinden.
Mit der Idee von Zwischennutzungen kann eine Testphase ermöglicht werden, ungewöhnliche Ideen zu unterstützen. Die Ideen sollten weiterverfolgt werden und funktionieren im zweiten Schritt in einer neuen Konzeption einer Neunutzung eines vormals leerstehenden Gebäudes. So wird die Zwischennutzung nicht ein Tool der Eigentümer, sondern arbeitet als nachhaltige, gewachsene Nutzerstruktur im Quartier und strahlt so in die Nachbarschaft aus und ermöglicht weiteres.
Was braucht es, um Zwischennutzungen zu ermöglichen und zu fördern? Welche Voraussetzungen seitens der Stadtpolitik, der Eigentümer und der Zwischennutzer sind dazu nötig?
Es braucht eine breite politische Grundlage und den echten Willen der Politik Zwischennutzungen zu ermöglichen. Außerdem benötigt es eine Verwaltung, die versteht und zuhört, die Ihre Macht teilt und offen ist. Die sowohl im Verwaltungsapparat ressortübergreifend arbeitet und gleichzeitig im engen Austausch mit der Politik ist und dies auch als Auftrag ernst nimmt.
Wenn nicht die gewählte Stadtpolitik, wer dann, muss gemeinwohlorientiert arbeiten? Viele Kommunen und Städte haben sich in der Vergangenheit gewinnbringend ihrer öffentlichen Gebäude entledigt und müssen nun zusehen, dass sie sich dem immer steigenden Preisdiktat vieler private Immobilienfirmen fügen müssen und nicht mehr selbst regulieren können.
Man muss sich dem Thema „Leerstand“ stellen und es verbessern wollen. Dabei darf man den Abriss-Programmen nicht willenlos folgen, sondern sollte vielmehr abwarten und lieber den Leerstand zwischen zu nutzen und dadurch neue Ideen zu ermöglichen.
Wie beurteilen Sie die Entwicklung der vergangenen Jahre? Welche Konzepte haben sich bewährt, waren besonders nachhaltig?
In baupolitischer Sicht werden in Bremen verschiedene Milieus fortschreitend an die Ränder der Stadt gedrängt. Im Kerngebiet wird es immer schwieriger Zwischennutzungen zu etablieren, bzw. überhaupt erst einmal zu ermöglichen. Dies ist sehr schade, denn in der Mitte einer jeden Stadt liegen die spannendsten Momente und man erreicht viele unterschiedliche Menschen. Darum heißt dieses Gebilde auch Stadt.
Nach acht Jahren ZwischenZeitZentrale (ZZZ) ist in Bremen der Wille gewachsen, so dass auch private Eigentümer auf uns zukommen und Ihre Räume zur Verfügung stellen möchten. Dies ist nur in enger Abstimmung mit dem Bauamt, als auch mit der Verwaltung und der Politik möglich. Dabei läuft es meistens verwaltungsrechtlich auf eine Duldung hinaus und man improvisiert meisterlich alle Hürden. Es gilt: Wo ein Wille, ist auch ein Weg.
Bremen arbeitet zielorientiert und schafft durch seine sozialen Innovationen tolle Projekte. Das kann die ZZZ nicht alleine bewältigen, sondern es erfordert viel Zu- und Abstimmung aus Verwaltung und Politik und der Privatwirtschaft. Vertrauen ist dabei das Zauberwort um Zwischennutzungen zu ermöglichen.
Das Konzept, viele Menschen aus unterschiedlichen Disziplinen an einen größeren Ort zusammenzubringen, ermöglicht neue Ideen und neue Lösungsansätze in der Umsetzung. Raum für Gestaltung oder gestaltbarer Raum wird immer benötigt. Und in jeder Stadt gibt es Leerstand.
Die Renditewünsche von Investoren sind natürlich in schrumpfenden Arealen schwierig darzustellen. Meistens ist es aber dennoch sinniger die Zivilgesellschaft an einem vormals leerstehenden Gebäude teilhaben zu lassen, ohne ausgefeilten Businessplan und ohne Kredit. Durch Öffnung der Räume werden aus Bürger*innen in demokratischen Prozessen aus Diskussion und Ideenfindung Stadtgestalter*innen. Das ist gelebte Demokratie, die begleitend unerlässlich ist. Diese Vorgehensweise schafft eine Öffentlichkeit und ebenso eine Außenwirkung weit über die Grenzen der Stadt hinaus. Wie man an den Vorzeigebeispielen Halle/Saale oder Leipzig bestens erkennen kann.
Nur dürfen die Akteure, die Pionier- und Basisarbeit geleistet haben, im nächsten Schritt nicht vergessen werden. Vielmehr sollten sie einen festen Platz in der perspektivischen Planung bekommen, da erst sie diesen Prozess angeschoben haben und sich in Zukunft überwiegend auch etablieren wollen und werden. Vielleicht sogar aktiv in einer Genossenschaft in einem vormals leerstehenden Gebäude.
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Daniel Schnier, Jahrgang 1977, Dipl.-Ing. Architektur, Gründer des AAA Bremen, Mitbetreiber der ZwischenZeitZentrale, die seit 2010 erfolgreich geeignete Objekte aufspürt, Eigentümer*innen berät und mit Nutzer*innen Konzepte entwickelt und Zwischennutzungsprojekte begleitet.