Topographien des Wandels: 06712 Zeitz
In meiner Recherche zur Stadt Zeitz zeigte sich in erster Linie die anhaltende ökonomisch-soziale Krise der Region, welche eben jenes durch Leerstand und Abriss gekennzeichnete Stadtbild hervorbrachte, für das Zeitz in den Medien anscheinend in erster Linie bekannt ist.1 Die Ursachen der tiefgreifenden strukturellen Veränderungen der Stadt, liegen insbesondere in der ökonomischen Krise, die in den neunziger Jahren durch die Schließung der großen lokalen Betriebe ausgelöst wurde. Der im Zuge der deutschen Wiedervereinigung eingeleitete wirtschaftliche Transformationsprozess, ist insbesondere durch die weitreichende De-Industrialisierung ostdeutscher Städte gekennzeichnet. Vor allem in ländlichen Regionen, die vormals durch monostrukturelle Industrie geprägt waren, erzeugte die Arbeitslosigkeit ein massenhaftes Abwandern der Bewohner und bewirkte damit auch in Zeitz den anhaltenden Bevölkerungsrückgang und die massiven strukturellen Defizite.
Wie ist die Lage?
Zeitz ist eine „schrumpfende Stadt“. Der Begriff beschreibt die „…Prozesse des Funktionsverlusts städtischer Zentren…“2 . Als Ursache dieser Prozesse „… spielt der Niedergang beschäftigungsintensiver Industrien eine wichtige Rolle: Mit ihnen schwindet ein zentraler ökonomischer Grund für städtisch verdichtetes Wohnen, nämlich Menschen, Verwaltungen und Unternehmen zur Minimierung der Kosten von Transport, Wissen, Ausbildung und Information … zusammenzuführen.“3 Die Folgen sind in der Stadt durch den bereits genannten Leerstand, Abriss oder bauliche Lücken und Brachflächen auf der einen Seite, durch starke Peripherisierung an den städtischen Rändern, in Form des Neubaus von Gewerbeflächen, Supermärkten und Einfamilienhäusersiedlungen auf der anderen Seite, sichtbar. Fehlender innerstädtischer Wohnraum sorgt weiterhin für den Wegzug von Menschen aus dem Stadtraum hin, in die umgebende Region und ihre Dörfer oder auch die nächsten Großstädte.
Die Ursachen des Schrumpfens treiben ihre Dynamik weiter voran. Die Entwicklung der Stadt hat ein „… ökonomisches Bedeutungsdefizit …“4 erzeugt, das mit seinen „Angelagerte(n) soziale(n) Probleme(n) und demografische(n) Entwicklungen … zu Selbstverstärkungseffekten …“5 führt. Viele Jahre war ein Abwandern der Bevölkerungsteile festzustellen denen dies möglich war und die sich andernorts bessere Chancen, etwa für den Zugang zum Arbeitsmarkt, erhofften. Der daraus langfristig resultierte Effekt wird „Brain-Drain“ genannt, das Abwandern von Humankapital, welches sich zum Beispiel im Fehlen von Fachkräften zeigt. Neben der räumlich-strukturellen Peripherie, entstehen dadurch auch wissensgesellschaftliche Peripherien. Es entsteht die widersprüchliche Situation von hoher Arbeitslosigkeit einerseits und einem Kompetenzmangel andererseits.6 Dies wird zu einem Faktor, der regionale wirtschaftliche Entwicklung in Form von Investitionsbereitschaft und Innovation hemmt.
Globale Probleme, lokale Konsequenzen
Der Soziologe Klaus Ronneberger analysiert das Phänomen der schrumpfenden Städte mit Hinblick auf die These, dass „… es sich bei dem Vorgang des Schrumpfens um eine zyklische Krise handelt, die dem Entwicklungsprozess kapitalistischer Gesellschaften inhärent ist.“7 Er spricht hier von „Konjunkturen konzeptiver Raumideologien“8 . Die deutsche Nachkriegszeit, die vor allem durch den wirtschaftlichen Aufschwung, dem Wirtschaftswunder der 1950er Jahre geprägt war, ließ schnell vergessen, dass die
kapitalistische Gesellschaft nicht vor Krisen geschützt ist, wie beispielsweise die sozialen und strukturellen Folgen, der in den 1960er und 70er Jahren einsetzende Niedergang der Montanindustrie im Ruhrgebiet zeigten. Die Entwicklung der Städte und das
Stadtwachstum der Nachkriegszeit, war eng mit der wirtschaftlichen und industriellen Entwicklung verbunden. Die Verdichtung städtischer Strukturen folgt der „…Bereitstellung einer materiellen Infrastruktur, … die (die) Zirkulation von Gütern und Waren ermöglicht… Doch durch solche Investitionen war Kapital langfristig in urbane Strukturen gebunden. Und da diese baulich relativ unbeweglich ist, gerät sie früher oder später in Konflikt mit der Dynamik technologischer Innovationen und veränderter
ökonomischer Verwertungsstrategien.“9 Dieser Konflikt zeichnet sich seit Beginn der achtziger Jahre in Form der Globalisierung ab, die mit der Veränderung der industriellen Produktionsweisen Prozesse, wie den Niedergang altindustrieller Zentren, Unternehmenszerlegung, Verlegung von Standorten in Niedriglohnländer und der Abkopplung der Kapitalmärkte von der Realwirtschaft, bewirkte. Nach dem radikalen Systemumbruch in Ostdeutschland, sollte die De-Industrialisierung die geschrumpften industriellen Kerne marktfähig machen und die schlagartige Weltmarktintegration ermöglichen. Technologische Modernisierung und Investitionen blieben aber aus, was den in ländlichen Regionen mit zu den besonders prekären ökonomischen Bedeutungsdefiziten führte.
Die Hoffnung stirbt zum Schluss
Zeitz erlebt aber trotz des eines weiterhin negativ prognostizierten Trends der Bevölkerungsentwicklung10 gesellschaftlich positive Entwicklungen. Es kann ein Zuzug vor allem junger Menschen verzeichnet werden, die etwa aus Städten wie Leipzig, aufgrund der dort steigenden Mieten, in umliegende Regionen abwandern. Auch immer mehr Künstler mieten, aufgrund fehlender Ateliers in Leipzig, Räumlichkeiten in Zeitz. Durch den Zuzug haben sich in Zeitz Teile einer neuen Kreativwirtschaft angesiedelt, die sich vor allem auch durch politisches und gesellschaftliches Engagement definiert.11 Dieses geht beispielsweise von einem Kulturverein, der ein ehemaliges Kloster der Stadt als Sitz hat, aus. Zahlreiche Kooperationen wurden in den letzten Jahren mit internationalen Künstlern und Gruppen, sowie verschiedenen Hochschulen durchgeführt.
1 Zuletzt z. B. im Deutschlandfunk: https://bit.ly/2BZQfhq
2 Klaus Müller: Globale Geografie. In: Philipp Oswalt (Hrsg.): Schrumpfende Städte Band 1, 2004, Hatje Cantz, Ostfildern-Ruit, S. 36.
3 Ebd.
4 Hans-Joachim Bürkner: Polarisierung und Peripherisierung. In: Philipp Oswalt (Hrsg.): Schrumpfende Städte Band 1, 2004, Hatje Cantz, Ostfildern-Ruit, S. 546.
5 Ebd.
6 Vgl. Ulf Matthiesen: Abgewandert: Humankapital in Ostdeutschland. In: Philipp Oswalt (Hrsg.): Schrumpfende Städte Band 1, 2004, Hatje Cantz, Ostfildern-Ruit, S. 172.
7 Klaus Ronneberger: Krisenhafter Kapitalismus. In: Philipp Oswalt (Hrsg.): Schrumpfende Städte Band 1, 2004, Hatje Cantz, Ostfildern-Ruit, S. 680.
8 Ebd.
9 Klaus Ronneberger: Krisenhafter Kapitalismus. In: Philipp Oswalt (Hrsg.): Schrumpfende Städte Band 1, 2004, Hatje Cantz, Ostfildern-Ruit, S. 682.
11 Vgl. Statistisches Landes Amt Sachsen-Anhalt, 6. Regionalisierte Bevölkerungsprognose 2014 bis 2030. https://bit.ly/2PSD7Og. S.10.
11 Vgl. Zeitz: Wird die Geisterstadt bald Konkurrenz fürs hippe Leipzig? K. Wecker. https://bit.ly/2wt3nGX