Zeitz MOCAA

Normalerweise ist es nicht unbedingt die Ambition eines jungen Menschen am Neujahrstag in ein Museum zu gehen. Vor allem nicht, wenn man Silvester in einer pulsierenden Großstadt wie Kapstadt verbringt. Doch allein der Name klang bedeutungsschwer in meinen Ohren und motivierte mich dennoch am ersten des neuen Jahres den Wegweisern zum ZEITZ MOCAA (Musuem of Conemporary Art Africa) zu folgen. Flatternde Fahnen begleiteten den Weg zum ehemaligen Silo an der weltberühmten V&A Waterfront, in dem nun das erste Museum für zeitgenössische afrikanische Kunst zu finden ist. Entstanden ist es aus Initiative des Mannheimers Jochen Zeitz, eines ehemaligen Sportartikel-Managers und Kunstsammlers, der es sich zur Aufgabe gemacht hat afrikanischer Kunst und Künstlern eine Plattform zu bieten. Ein geradezu absurder Zufall, für einen Zeitzer in Afrika.

Es ist ein prachtvolles Gebäude, ehemalig Teil der Hafenindustrie, auch wenn ich dennoch erst fast vorbeigegangen wäre, weil es an einem großen, sichtbaren Eingangschild fehlt. 180 Rand (ca. 12 Euro) kostete mich der Eintritt in die heiligen Hallen. Menschen aus Afrika erhalten mittwochs freien Eintritt. Kurz nach meiner Ankunft begann eine einstündige Führung durch das Museum. Danach verbrachte ich selbst noch einmal eine ganze Weile in den Ausstellungsräumen. Insgesamt waren es fast zweieinhalb Stunden und ich hätte mich noch viel länger sattsehen können.

Die gesamte Ausstellung trägt den Namen „All things being equal…“ (dt. Alle Dinge sind gleich). Dass Gleichberechtigung das große Thema der Ausstellung war, konnte man leichthin erkennen.

Ich möchte hier nun einige Künstler*innen näher vorstellen:

Die erste Einzelausstellung mit dem Namen „Material Value“ (dt. Materieller Wert) war von der Künstlerin Nandipha Mntambo aus Swaziland. Sie „verwendet Kuhhaut und die kulturellen, historischen und universellen Assoziationen, die wir diesem Material zuschreiben.“ In ihrem ersten Raum sieht man eine Vielzahl von aus Rinderhaut gefertigten Umhängen, in denen sie sich auch in verschiedenen Positionen hat fotografieren lassen. Im zweiten Raum steht eine Büste eines Fabelwesens, das Hörner hat und stark behaart ist. Es kommt wohl der weitverbreiteten Vorstellung des Teufels sehr nahe. Auf einem Gemälde sieht man, wie eben dieses Wesen die Göttin Europa vergewaltigt. Das Bild trägt auch den Titel „Die Vergewaltigung Europas“.
Außerdem hat sich die Künstlerin der Tradition des Stierkampfs gewidmet. Diese ist nicht nur in Spanien und Portugal, sondern aufgrund der Kolonialzeit auch im afrikanischen Mosambik verbreitet. Laut Museumsführerin wollte sich Mntambo auf der Iberischen Halbinsel zum Torero ausbilden lassen, um die Bewegungen sowie den Umgang mit dem roten Tuch für ihr Kunstprojekt zu erlernen. Dabei stieß sie vor die Hürde, dass niemand bereit war, es ihr zu zeigen, weil sie eine Frau ist. Also analysierte sie den Ablauf selbst und ließ sich dennoch in einer verlassenen Stierkampfarena in Mosambik filmen, wie sie einen Torero imitierte. Ohne Stier. Des Weiteren nahm sie einen Tanz zwischen zwei Personen auf. Anhand der Kleidung kann man erkennen, dass es sich um einen Torero sowie das rote Tuch handeln soll. Der Tanz soll also das Zusammenspiel beider verkörpern. Erst am Ende sieht man durch die Kamerabewegung, dass beide Tanzende Frauen sind.
Die Themen, die sich Nandipha Mntambo widmet sind die Unterschiede und Gemeinsamkeiten von männlich/weiblich, Mensch/Tier, Schutz/Zerstörung, Attraktion/Abscheu, Öffentlichkeit/Privatsphäre.

Der südafrikanische Künstler William Kentridge stellt mit dem Animationsfilm „More Sweetly Play the Dance“ ein fünfzehnminütiges visuelles Kunstwerk aus. Der Film zeigt Menschen, die auf einer meterlangen und -breiten Leinwand mal als Demonstrationszug, mal als Blaskapelle vorbeiziehen. Sie verkörpern Bauern, Politiker, antike Persönlichkeiten oder auch Skelette, Minenarbeiter, Totensammler und Fahnenträger. Das Kunstwerk behandelt den Zusammenfall des Apartheidsregimes und soll Ungerechtigkeiten versinnbildlichen. Das ganze ist auch musikalisch unterlegt. Das bereits mehrere Jahre alte Kunstwerk konnte auch schon in Berlin, London, New York, Amsterdam und Karlsruhe gesehen werden. Der Name leitet sich von Paul Celans „Todesfuge“ ab und der Eingangssentenz „Spiel süßer den Tod – Der Tod ist ein Meister aus Deutschland“.

Aus Kenia stammt der Künstler Cyrus Kabiru, der aus Dingen, die er oftmals einfach auf der Straße findet, traditionelle Masken bastelt und sich damit fotografieren ließ. Seine Masken bestehen unter anderem aus Metall- und Plastikteilen, Knochen, Drähten oder Holz.

El Anatsui, ein Künstler aus Ghana, beschäftigt sich vor allem mit Alkohol. Sein Kunstwerk „Dissolving Continents“ (dt. Auflösung der Kontinente) besteht aus den Aluminiumbanderolen und Kupfer, die sich an Getränkeflaschen, die Alkohol enthalten, befinden. Seiner Meinung nach war es Alkohol, der zur Zeit des Sklavenhandels die Kontinente Europa, Afrika und Nordamerika verbunden hat. Die Europäer hätten den Alkohol nach Amerika gebracht, von Amerika aus nach Afrika. Sein Kunstwerk zeigt eine sehr abstrakte Abbildung der Kontinente, die man oft nur noch mit Phantasie erkennt.

Der US-Amerikaner Rogger Ballen lebt bereits seit den 70ern in Südafrika und ist ein Fotograf sowie Zeichner. Bekannt wurde er durch die Fotografie armer Weißer während des Apartheidsregimes. Seine schwarz-weiß Bilder zeigen Realität und Dramatik einzelner Schicksale oder aber nahezu gruslige Kulissen, die viele schaurige Details enthalten. Ein Zimmer ist im Zeitz MOCAA so eingerichtet, dass man das Gefühl hat durch eines seiner Bilder zu laufen.

Die ebenfalls aus Südafrika stammende Fotografin Zanele Muholi zeigt eine Porträtausstellung. Es sind Porträts von Menschen der LGBTQI+ Gemeinschaft aus verschiedenen afrikanischen Ländern. Menschen, die sich aufgrund ihrer Sexualität oder ihres gesellschaftlichen Geschlechts oftmals verstecken müssen, scheinbar nicht existent sind und aufgrund einer weitverbreiteten Homo- und Transphobie in Afrika Opfer von Gewalt, Vergewaltigungen oder Mord werden. Es gibt sie und sie sind stolz darauf so zu sein, wie sie sind.

Der schwarze Brite Isaac Julien hat einen 55-minütigen Film aus vielen verschiedenen Perspektiven gedreht. Der Film beginnt in einer Straßenbahn und zeigt erst eine Person, dann noch eine andere, dann zeigt es die Straßenbahnschienen, die Straßenbahn…alle Perspektiven auf einem anderen Bildschirm, die im ganzen Raum verteilt sind.

Der bereits 2016 verstorbene Künstler El Loko aus Togo hatte den Traum eine universelle Sprache zu entwickeln. Diese allein sollte zur Kommunikation dienen und somit jede Diskriminierung sowie Rassismus abschaffen. Denn wenn alle Menschen eine Sprache sprächen, so glaubte er, würden sie sich alle zu einer Kultur dazugehörig fühlen. Eine Abgrenzung wäre nicht mehr möglich. Sein „kosmisches Alphabet“ ist dauerhaft im Museum zu sehen, denn es ist auf die Glasplatten auf dem Dach (6. Obergeschoss) geklebt. Leider versteht niemand das Alphabet und er ist zu früh gestorben, um es allen erklären zu können. So bleibt wohl seine Vision einer durch nur eine gemeinsame Sprache geeinte Welt weiterhin nur ein Traum.

Kendell Geers ist ein südafrikanischer Künstler, dessen Werke alle höchst politischer Natur sind. Er selbst wurde während der Apartheid in einer weißen Familie geboren und floh mit 15 von zu Hause. Sein Geburtsdatum hat er selbst aus Sympathie zu den Studentenbewegungen in 1968 ändern lassen. Wann er wirklich geboren wurde, weiß niemand außer er selbst. Geers war Teil der militanten Anti-Apartheid-Bewegung. Seine Werke handeln meist vom Freiheitskampf der Schwarzen und ihren Blutzoll. Im Zeitz MOCAA kann man sein Kunstwerk „Hanging Pieces“ (dt. Hängende Stücke) begutachten. Im gesamten Raum hängen Ziegelsteine von der Decke. Der Besucher muss seinen eigenen Weg dadurch finden. Es ist laut Museumsführerin eine Kritik an Aktionen der 90er Jahre in Südafrika, bei denen Aufständische Ziegelsteine von Autobahnbrücken hingen, in dessen Folge es zu schweren Unfällen, Verletzungen sowie Toten kam.

Ein Künstler, den ich besonders gut fand, ist Kudzanai Chiurai, der mit seinen Kunstwerken, vor allem Bilder, die Geschichte seines Geburtslandes Simbabwe widerspiegelt. Hauptsächlich geht es um den Weg afrikanischer Länder in die Unabhängigkeit sowie die daraus neu entstandenen Probleme. Seine bunten Bilder zeigen Szenen von Freiheitskampf und Revolte, aber auch Gewalt gegen Zivilisten (vordergründig Frauen), Männer, die versuchen die Macht an sich zu reisen und Geldverschwendung. Er hat jedoch auch Dutzende Poster entworfen, die beispielsweise afrikanische Herrscher mit der Überschrift „Abuse of Power“ (dt. Machtmissbrauch), prügelnde Polizisten, Aussagen wie „Vote at own risk“ (dt. Wählen auf eigene Gefahr) oder Einkaufswagen, gefüllt mit Waffen und der Überschrift „Shopping for Democracy“ (dt. Einkauf für die Demokratie) zeigen. Seine Kritik daran, dass sich viele afrikanische Länder nach der Unabhängigkeit ihrer Kolonialmächte in Diktaturen verwandelt haben, ist nicht zu übersehen. Immerhin stammt Chiurai selbst aus einem Land, in dem Robert Mugabe als zuletzt weltweit ältestes Staatsoberhaupt mit 93 Jahren zwischen 1987 und 2017 an die Macht klammerte.

Das sind längst nicht alle Künstler*innen, deren Werke man im Zeitz MOCAA begutachten kann. Es ist nur eine kleine, subjektive Auswahl. Es gibt noch weitaus mehr zu entdecken.

Zum Abschluss lässt sich sagen, dass das Zeitz MOCAA eine wunderbare progressive Insel auf einem ansonsten noch viel zu konservativen Kontinent ist. Das Museum ist ein „offener Raum“, in dem Themen wie Feminismus, Gender, Sexualität, Rassismus oder politische Kritik zur Sprache kommen. Sie alle spiegeln wider, welche Diskussionen noch geführt, welche Dinge noch aufgearbeitet werden müssen. Nicht nur in Afrika, sondern weltweit.
Ich empfehle das Museum uneingeschränkt weiter und es macht dem Namen „Zeitz“ auf keinem Fall eine Schande.